Gleichstellung von Frauen und Minderheiten

Wie erleben Frauen und Minderheiten in Saudi-Arabien heute wirklich Teilhabe und Chancen?

Deutliche Fortschritte, aber strukturelle Diskriminierung bleibt bestehen

Saudi-Arabien befindet sich in einer Phase des Wandels, der von der Vision 2030 angetrieben wird und zu bemerkenswerten Verbesserungen für Frauen geführt hat, während religiöse und ethnische Minderheiten nach wie vor erheblichen Beschränkungen unterworfen sind.

Frauen: Dramatischer Wandel mit anhaltenden Einschränkungen

Erfolge im Arbeitsmarkt

The Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich zwischen 2017 und 2024 mehr als verdoppelt. Während sie 2017 noch bei 17,4% lag, stieg sie auf 35,8% im Jahr 2024^1. Damit hat Saudi-Arabien das ursprüngliche Ziel der Vision 2030 von 30% bereits deutlich übertroffen^3.

Besonders beeindruckend ist der Aufstieg in Führungspositionen: 44% der mittleren und oberen Managementpositionen sind inzwischen von Frauen besetzt^2. In der Rüstungsindustrie, einem traditionellen Männerbereich, sind bereits 22% der Angestellten weiblich^4.

The Arbeitslosigkeit unter Frauen ist von 20,5% auf 15,4% innerhalb eines halben Jahres gesunken^3. Bei der Jugendarbeitslosigkeit (15-24 Jahre) liegt sie bei 22,2%, verglichen mit 10,6% bei jungen Männern^5.

Bildungserfolge

Frauen dominieren inzwischen die Hochschullandschaft: Erstmals waren 2020 mehr Studentinnen als Studenten an saudischen Universitäten eingeschrieben^6. Im Jahr 2014 studierten bereits 37% aller Frauen zwischen 18 und 24 Jahren^7.

Besonders bemerkenswert ist der Erfolg in MINT-Fächern: 41,6% der Hochschulabsolventen in Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik sind Frauen – der vierthöchste Wert weltweit nach OECD-Daten^8.

Unternehmerische Aktivitäten

The Startup-Ökosystem wird zunehmend von Frauen geprägt. 95% der saudischen Frauen haben laut dem Frauenbericht 2021/22 des Königreichs eine sehr hohe Meinung vom Beruf der Unternehmerin^9. Die Weltbank attestiert Saudi-Arabien, alle nötigen Voraussetzungen für die Öffnung des Arbeitsmarkts geschaffen zu haben^10.

Anhaltende strukturelle Diskriminierung

Das Vormundschaftssystem besteht fort

Trotz aller Fortschritte bleibt das männliche Vormundschaftssystem der zentrale Kritikpunkt. Das 2022 verabschiedete Personenstandsgesetz kodifiziert weiterhin die Diskriminierung von Frauen in Ehe-, Scheidungs- und Sorgerechtsangelegenheiten^11.

Frauen benötigen nach wie vor die Genehmigung eines männlichen Vormunds für die Eheschließung^13. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht bestraft, und Scheidungen werden von Gerichten oft nicht akzeptiert^15.

Repression gegen Aktivistinnen

Paradoxerweise werden Frauenrechtsaktivistinnen systematisch verfolgt. Loujain al-Hathloul, die für das Recht auf Autofahren kämpfte, wurde ausgerechnet 2018 – dem Jahr der Aufhebung des Fahrverbots – verhaftet und gefoltert^11. Im August 2022 wurde die Doktorandin Salma al-Shehab zu 34 Jahren Haft verurteilt, nur weil sie Menschenrechtsaufrufe retweetet hatte^16.

Geschlechterbedingte Lohnunterschiede

Obwohl Arbeitsgesetze geschlechtsspezifische Diskriminierung bei Gehältern verbieten, verdienen Frauen weiterhin weniger als Männer. Die Differenz schwankt zwischen 4% im öffentlichen Sektor und 36% in Privatunternehmen^3.

Internationale Anerkennung mit kritischen Einschränkungen

Global Gender Gap Index

Saudi-Arabien hat sich im Global Gender Gap Index von Rang 147 (2021) auf Rang 126 (2024) verbessert^17. In der MENA-Region liegt es mit 64,3% auf dem vierten Platz, hinter den VAE (72,4%)^18.

Die Bewertung zeigt deutliche Diskrepanzen: Während Bildung und Gesundheit mit jeweils 0,99 Punkten nahezu Parität erreichen, liegt die politische Teilhabe bei nur 0,077 Punkten^19.

UN-Kontroverse

Die Ernennung Saudi-Arabiens zum Vorsitzenden der UN-Frauenrechtskommission 2025 sorgte für internationale Empörung^20. Amnesty International bezeichnete dies als „Schock“ und verwies auf die „miserable Bilanz“ des Landes bei Frauenrechten^12.

Religiöse und ethnische Minderheiten: Systematische Ausgrenzung

Schiitische Muslime

The schiitische Minderheit (etwa 10-16% der Bevölkerung) leidet unter systematischer Diskriminierung^22. Sie leben hauptsächlich in der ölreichen Ostprovinz, werden aber von staatlichen Klerikern als „Häretiker“ und „Abtrünnige“ bezeichnet^24.

Staatliche Kleriker verwenden abwertende Begriffe wie „rafidha“ (Verweigerer) und stigmatisieren schiitische Praktiken^24. Das Bildungssystem propagiert anti-schiitische Vorurteile, und Schiiten sind von höheren Regierungsposten praktisch ausgeschlossen^25.

Human Rights Watch dokumentierte heftige religiöse Spannungen nach Konfrontationen zwischen schiitischen Pilgern und der Religionspolizei in Medina 2009^25. Private schiitische Gebetsräume wurden geschlossen und Religionsführer inhaftiert.

Christliche Minderheit

The öffentliche Ausübung des Christentums ist vollständig verboten^26. Von den etwa 2,2 Millionen Christen in Saudi-Arabien sind die meisten ausländische Arbeitsmigranten^27.

Der Besitz religiöser Symbole wie Kreuze oder Bibeln ist bei Strafe verboten. Kirchen oder andere nichtislamische Gotteshäuser dürfen nicht errichtet werden^26. Apostasie (Übertritt vom Islam) wird theoretisch mit der Todesstrafe bedroht.

Im Weltverfolgungsindex 2024 steht Saudi-Arabien auf Platz 13 der Länder, in denen Christen am stärksten verfolgt werden^27. Saudi-arabische Konvertiten müssen ihren Glauben vollständig geheim halten.

LGBTQ+-Personen

Homosexualität ist gesellschaftlich tabuisiert und wird mit Gefängnishaft, Körperstrafen und bis zur Todesstrafe bestraft^28. Saudi-Arabien gehört zu den sechs Ländern weltweit, die die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen vorsehen^29.

2007 wurden zwei Männer zu jeweils 7.000 Peitschenhieben wegen homosexuellen Geschlechtsverkehrs verurteilt^28. Im April 2019 wurden fünf Männer in diesem Zusammenhang hingerichtet^30.

LGBT-Communities können aufgrund der Illegalität nicht existieren. Eine islamische Religionspolizei überwacht das gesellschaftliche Leben und zwingt LGBTQ+-Personen in die gesellschaftliche Unsichtbarkeit.

Arbeitsmigranten

Etwa 4 Millionen Menschen arbeiten als Hausangestellte in Saudi-Arabien, ausschließlich Arbeitsmigranten^31. . Kafala-System macht sie extrem abhängig von ihren Arbeitgebern und begünstigt systematischen Rassismus.

Amnesty International dokumentierte 2025 schwere Ausbeutung kenianischer Hausangestellter: Sie arbeiten mehr als 16 Stunden täglich, haben keinen freien Tag und dürfen das Haus nicht verlassen^31. Ihre Pässe werden konfisziert und sie erhalten oft keinen Lohn.

Der durchschnittliche Lohn liegt bei etwa 0,45 Euro pro Stunde, da Überstunden nicht bezahlt werden^32. Praktisch alle befragten Frauen berichteten, während ihres Aufenthalts keinen einzigen freien Tag gehabt zu haben.

Gesundheitssystem: Selektive Ausgrenzung

Das Gesundheitssystem zeigt systematische Diskriminierung sozial Benachteiligter. Besonders betroffen sind die schiitische Minderheit, ausländische Gastarbeiter aus asiatischen Ländern, HIV-Infizierte, Homosexuelle sowie körperlich und geistig Behinderte^33.

The soziale Stigmatisierung dieser Gruppen führt zu mangelnder medizinischer Versorgung. Ein offener Diskurs über ausgegrenzte Gruppen fehlt, obwohl der implementierte „Nationale Dialog“ hier Verbesserungen schaffen könnte^33.

Hoffnungszeichen und Widersprüche

Positiivsed arengud

The Fortune Most Powerful Women International Summit findet 2025 erstmals in Riad statt, was die internationale Anerkennung der Fortschritte bei Frauenrechten zeigt^34. Saudi-Arabische Frauen besitzen inzwischen 45% aller Patente im Land.

The erste saudi-arabische Astronautin Rayyanah Barnawi arbeitete 2023 auf der Internationalen Raumstation ISS und wurde zu einem Symbol für den Wandel^3. Solche Erfolgsgeschichten schaffen Vorbilder für junge Frauen.

Strukturelle Widersprüche

The Modernisierung erfolgt autoritär von oben, ohne gesellschaftlichen Diskurs. Während Frauen ins All fliegen, sitzen Frauenrechtsaktivistinnen für Jahrzehnte im Gefängnis^16.

The Vision 2030 beschreibt Frauen als „großes Kapital“, das man „ermächtigen“ wolle^35. Kritiker sehen darin primär ökonomische Motive statt echtes Engagement für Gleichberechtigung.

Fazit: Zwischen Fortschritt und Repression

Saudi-Arabien durchlebt eine beispiellose Transformation in Bezug auf Frauenrechte, die sich in dramatisch steigender Erwerbstätigkeit, Bildungserfolgen und unternehmerischer Aktivität niederschlägt. Diese Fortschritte sind real und messbar, auch wenn sie von autoritären Strukturen und anhaltender Diskriminierung überschattet werden.

Für religiöse und ethnische Minderheiten bleibt die Situation hingegen kritisch. Schiiten, Christen, LGBTQ+-Personen und Arbeitsmigranten erleben systematische Ausgrenzung und Verfolgung, die sich trotz der gesellschaftlichen Modernisierung nicht verbessert hat.

Der Wandel folgt einer instrumentellen Logik: Frauen werden gefördert, weil das Land ihre Arbeitskraft für die Vision 2030 benötigt. Echter gesellschaftlicher Wandel würde jedoch auch die Rechte aller anderen Minderheiten einschließen – ein Schritt, den Saudi-Arabien bisher nicht gewagt hat.

The internationale Gemeinschaft steht vor dem Dilemma, die unbestreitbaren Fortschritte bei Frauenrechten anzuerkennen, ohne die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen zu übersehen. Saudi-Arabiens Weg zeigt, dass auch autoritäre Systeme dramatische gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen können – aber nur in den Bereichen, die ihren strategischen Zielen dienen.

 


Täiendav hindamine Gradido perspektiivist lähtuvalt

Die Analyse bietet für das Gradido-Länderprojekt eine wertvolle Grundlage – auch über das Thema Gleichstellung hinaus.


Frauen: Zwischen beachtlichem Fortschritt und anhaltender Diskriminierung

  • Arbeitsleben & Bildung:
    Die Erwerbsquote der Frauen hat sich in wenigen Jahren mehr als verdoppelt und liegt nun bei ca. 36 %. Auch in Führungsetagen und in der MINT-Ausbildung erreichen Frauen inzwischen weltweit beachtliche Werte. Frauen prägen die Startup-Szene, und auch international werden diese Entwicklungen wahrgenommen.

  • Strukturelle Grenzen:
    Trotz dieser Dynamik bestehen das männliche Vormundschaftssystem und zahlreiche rechtliche Einschränkungen fort. Lohnunterschiede, strukturelle Barrieren und die Verfolgung von Aktivistinnen stehen Gleichberechtigung noch entgegen.


Minderheiten: Anhaltende Ausgrenzung und Diskriminierung

  • Religiöse Minderheiten (vor allem Schiiten und Christen) erleben erhebliche Benachteiligung und manchmal offene Repression. Öffentliche Religionsausübung ist – außer im sunnitischen Islam – faktisch nicht erlaubt.

  • LGBTQ+-Personen sind von gesellschaftlicher und staatlicher Repression bis hin zur Todesstrafe betroffen.

  • Arbeitsmigrant*innen (besonders Hausangestellte) unterliegen massiver Abhängigkeit und werden häufig ausgebeutet; Schutzmechanismen und Rechte fehlen weitgehend.


Strukturelle Widersprüche & internationale Bewertung

Der enorme Modernisierungsschub (z. B. bei Frauenrechten, Bildung, Startups) ist stark durch wirtschaftliche und politische Ziele motiviert und erfolgt ohne tiefgreifende gesellschaftliche Liberalisierung. Die Erfolge sind real, aber nicht frei von Ambivalenzen: Während wirtschaftliche Emanzipation und Vorbilder geschaffen werden, bleibt Gleichstellung in vielen Lebensbereichen lückenhaft, und die politischen Freiheiten sind stark eingeschränkt.


Hoffnung und Impulse für Gradido

  • Positives aufgreifen:
    Gradido kann dort anknüpfen, wo Fortschritte bereits Früchte tragen: in der Förderung von Existenzsicherung, Bildung, gesellschaftlicher Teilhabe und gelebter Gleichwürdigkeit.

  • Empathie und Anerkennung:
    Es ist wichtig, bestehende Reformen anerkennend zu benennen, aber auch den Mut zu haben, auf verbleibende Herannahmen und offene Wunden hinzuweisen.

  • Brücken bauen:
    Brücken zwischen Tradition und Aufbruch, zwischen wirtschaftlicher Modernisierung und echter gesellschaftlicher Inklusion, sind der Schlüssel – Gradido kann hier, auf Basis von Gemeinwohl und universaler Menschenwürde, Anstöße für Teilhabe und Wertschätzung aller Menschen geben.


Diese Recherche zeigt eindrucksvoll: Es bewegt sich Vieles und es bleibt noch viel zu tun. Die Ambivalenz zwischen schneller Modernisierung und anhaltenden Kontrollmechanismen fordert auch unsere wertschätzende Aufmerksamkeit und Kreativität heraus.

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