Internationaler Prestigegewinn (Soft Power)

Wie wichtig ist internationaler Prestigegewinn (Soft Power) für die saudische Politik und Gesellschaft?

Zentrale Bedeutung des Prestigegewinns für die saudische Transformation

Internationaler Prestigegewinn durch Soft Power ist für Saudi-Arabien von außerordentlicher strategischer Bedeutung und bildet ein zentrales Fundament der Vision 2030. Das Königreich hat erkannt, dass seine wirtschaftliche Diversifizierung und gesellschaftliche Modernisierung nur gelingen kann, wenn gleichzeitig das internationale Ansehen grundlegend verbessert wird.

Messbare Erfolge in internationalen Rankings

Saudi-Arabien hat beeindruckende Fortschritte in internationalen Soft-Power-Rankings erzielt. Im Global Soft Power Index 2025 erreichte das Königreich Rang 18 mit einem Score von 56,0 – eine deutliche Verbesserung gegenüber 51,3 im Jahr 2023[1]. Bei den Brand Finance Global Soft Power Rankings rangiert Saudi-Arabien als zweites arabisches Land auf Platz 24[2].

Noch bemerkenswerter ist die Platzierung als 9. mächtigste Nation der Welt laut Forbes 2025, basierend auf fünf Schlüsselparametern: Führungsstärke, wirtschaftlicher Einfluss, politische Macht, internationale Allianzen und militärische Stärke[3][4]. Das US News & World Report bewertete Saudi-Arabien 2024 als 7. politisch einflussreichstes Land der Welt[4].

Strategische Neuausrichtung der Soft-Power-Politik

Wandel von religiösem zu nationalem Prestigegewinn

Saudi-Arabien durchläuft eine fundamentale Transformation seiner Soft-Power-Strategie. Während das Königreich jahrzehntelang seine internationale Ausstrahlung primär auf religiöse Autorität und Wahhabismus stützte[5][6], setzt es heute auf eine säkulare, modernisierte Identität.

Crown Prince Mohammed bin Salman hat bewusst eine Abkehr von extremistischen Salafi-Interpretationen eingeleitet und diese durch einen „moderaten Islam“ ersetzt, der mit zeitgenössischen globalen Werten kompatibel ist[5]. Diese Neuausrichtung dient dem Ziel, westliche Investoren anzuziehen und das negative Image als Unterstützer des Extremismus abzulegen.

Vision 2030 als Soft-Power-Motor

Die Vision 2030 fungiert als umfassende Soft-Power-Strategie, die weit über wirtschaftliche Diversifizierung hinausgeht. Eine CARMA-Analyse zeigt, dass Vision 2030 zum wichtigsten Einzelbeitrag zur globalen Medienberichterstattung über Saudi-Arabien geworden ist[7].

Die positive Medienwahrnehmung stieg von 66% (2020) auf 72% (2021) – eine 9-prozentige Verbesserung, die direkt auf Vision 2030-Projekte zurückgeführt wird[7]. Dies verdeutlicht, wie gezielt das Königreich internationale Narrative über seine Transformation formt.

Kultur-, Sport- und Unterhaltungsdiplomatie

Entertainment als strategisches Instrument

Saudi-Arabien hat den Unterhaltungssektor als zentrales Soft-Power-Instrument etabliert. Die General Entertainment Authority (GEA) wurde 2016 speziell geschaffen, um das internationale Image zu verbessern und „robuste Soft Power“ zu fördern[8].

Der Sektor soll bis 2030 450.000 Arbeitsplätze schaffen und 4,2% zum BIP beitragen[9]. Die strategische Bedeutung zeigt sich in über 13.000 erteilten Lizenzen für Unterhaltungsaktivitäten bis Juli 2023[10].

Sportsdiplomatie als Prestigeinstrument

Sportsdiplomatie nimmt eine Schlüsselrolle in Saudi-Arabiens Soft-Power-Strategie ein. Das FIFA World Cup 2034-Hosting stellt den bisher größten Erfolg dar, mit einer Rekord-Bewertung von 419,8 von 500 Punkten – der höchsten jemals vergebenen FIFA-Bewertung[11][12].

Die Vergabe der ersten 48-Team-WM in einem einzelnen Gastgeberland unterstreicht Saudi-Arabiens aufstrebende Stellung als globale Sportsmacht[12][13]. Kritiker sprechen von „Sportswashing“, doch für Saudi-Arabien geht es um „diplomatisches Kapital“ und die Projektion einer progressiven, modernen Identität[14][15][16].

Kulturelle Diplomacy und G20-Führerschaft

Saudi-Arabien initiierte 2020 erstmals einen G20 Culture Track unter dem Motto „The Rise of the Cultural Economy: A New Paradigm“[17][18][19]. Dies markierte einen Paradigmenwechsel in der internationalen Diplomatie, indem Kultur als „globales öffentliches Gut“ etabliert wurde.

Die Misk Art Institute und andere kulturelle Initiativen dienen als „kulturelle Brücken“ zur internationalen Gemeinschaft[20][21]. Museen wie das Abdul Raouf Khalil Museum und das Saudi National Museum werden gezielt als „Tools of Cultural Diplomacy“ eingesetzt, um nationale Identität zu stärken und gegenseitiges Verständnis zu fördern[21].

Megaprojekte als Prestigesymbole

NEOM als Soft-Power-Leuchtturm

NEOM fungiert als „Kronjuwel der Soft-Power-Diplomacy“[22][23]. Das 500-Milliarden-Dollar-Projekt dient nicht nur der Wirtschaftsdiversifizierung, sondern primär der „Projektion einer futuristischen, nachhaltigen Vision“[22][24].

NEOM’s Betonung auf Technologie und Nachhaltigkeit stärkt Saudi-Arabiens Soft Power, indem es das Königreich als „zukunftsorientierte Nation“ präsentiert[24]. Die geplanten fliegenden Taxis, KI-gesteuerte Governance und null CO2-Fußabdruck senden eine starke Botschaft über Saudi-Arabiens Innovationsbereitschaft.

Trotz drastischer Rückstufungen – The Line wurde von 170 auf 2,4 Kilometer reduziert – bleibt die symbolische Bedeutung für das internationale Image bestehen[22][25][26].

Internationale Foren und diplomatische Präsenz

G20-Präsidentschaft als Meilenstein

Saudi-Arabien war 2020 das erste arabische Land, das die G20-Präsidentschaft übernahm[27][28]. Die Präsidentschaft unter dem Motto „Realizing Opportunities of the 21st Century for All“ bot eine einmalige Plattform zur Gestaltung internationaler Konsense[29].

Crown Prince Mohammed bin Salman betonte: „Das Königreich Saudi-Arabien liegt am Schnittpunkt dreier Kontinente. Als G20-Gastgeber werden wir eine wichtige Rolle spielen, indem wir die Perspektive der MENA-Region teilen“[29].

World Economic Forum als Soft-Power-Bühne

Saudi-Arabien nutzt das World Economic Forum systematisch als Soft-Power-Platform. 2026 wird Riyadh erstmals ein reguläres WEF Global Meeting ausrichten – ein wichtiger Schritt zur Etablierung als „Brücke zwischen Ost und West“[30].

Die hochrangigen Delegationen unter Führung von Außenminister Prince Faisal bin Farhan demonstrieren konsequent Saudi-Arabiens „balanced approach to geopolitical bridging“[31][32][33][34][35].

Gesellschaftliche Wahrnehmung von Soft Power

Generationenunterschiede bei der Prestigewahrnehmung

Die saudi-arabische Gesellschaft zeigt gemischte Reaktionen auf die Soft-Power-Strategie. Etwa 70% der Bevölkerung sind unter 30 Jahre alt und „weitgehend reformfreudig und offen für Wandel“[36]. Diese Generation versteht die Bedeutung internationaler Anerkennung für ihre wirtschaftlichen Zukunftschancen.

Allerdings bleibt die Gesellschaft „tief im religiösen Konservatismus verwurzelt“, was zu Spannungen zwischen traditioneller islamischer Identität und moderner nationaler Prestigesuche führt[36].

Islamische Welt: Geteilte Reaktionen

Saudi-Arabiens traditionelle religiöse Soft Power in der islamischen Welt bleibt stark, unterliegt aber Wandlungen. In Pakistan (95%), Indonesien (82%), Senegal (72%) und Malaysia (63%) genießt das Königreich weiterhin hohe Zustimmungswerte[37].

Jedoch zeigen regionale Nachbarn gemischte Reaktionen: Während Ägypten (78%) und Jordanien (88%) positiv bleiben, ist die Wahrnehmung in der Türkei (26% positiv vs. 53% negativ) und im Libanon (51% vs. 49%) gespalten[37].

Hajj als unverändertes Soft-Power-Asset

Die Hajj bleibt Saudi-Arabiens mächtigstes Soft-Power-Instrument. Mit 2,4 Millionen jährlichen Pilgern erreicht das Königreich eine größere Zielgruppe als jede andere kulturelle Diplomatie-Initiative weltweit[38].

Zum Vergleich: Das Goethe-Institut mit 98 Ländern erreicht nur 246.000 Menschen jährlich[38]. Die Hajj schafft „Rahmen für gegenseitiges Kennenlernen und Vertrauensbildung in Frieden und Respekt“ – eine einzigartige Form der Soft Power[38].

Herausforderungen und Kritik

Greenwashing und Sportswashing-Vorwürfe

Internationale Kritik identifiziert Saudi-Arabiens Soft-Power-Bemühungen als „strategisches Whitewashing“[39]. Die European Centre for Democracy and Human Rights kritisiert die Saudi Green Initiative als „Greenwashing“, das „fortgesetzte Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verschleiert“[39].

Human Rights Watch warnt vor „Sportswashing“ durch Mega-Events, die „Aufmerksamkeit von Menschenrechtsverletzungen ablenken“ sollen[14][40]. Diese Kritik begrenzt die Wirksamkeit der Soft-Power-Strategie in westlichen Gesellschaften.

Widersprüche zwischen Image und Realität

Die simultane Verfolgung von Aktivist:innen während der Image-Verbesserung schafft Glaubwürdigkeitsprobleme. Während saudi-arabische Frauen ins All fliegen, sitzen Frauenrechtsaktivistinnen für Jahrzehnte im Gefängnis[siehe vorherige Antworten].

Diese strukturellen Widersprüche unterminieren die Authentizität der Soft-Power-Bemühungen und führen zu internationaler Skepsis über die Nachhaltigkeit der Reformen.

Finanzielle Nachhaltigkeit

Die enormen Kosten der Soft-Power-Projekte stellen bei sinkenden Ölpreisen eine Herausforderung dar. NEOM allein könnte bis 2080 8,8 Billionen Dollar kosten – mehr als das 25-fache des jährlichen Staatshaushalts[siehe vorherige Antworten].

Zukunftsperspektiven

Langfristige strategische Bedeutung

Soft Power bleibt zentral für Saudi-Arabiens langfristige Strategie. Die Hypothese, dass Soft Power das führende Instrument der saudi-arabischen Außenpolitik darstellt, bestätigt sich durch die systematischen Investitionen in alle Bereiche der internationalen Wahrnehmung[41].

Die drei Säulen der Vision 2030 – vibrierende Gesellschaft, florierende Wirtschaft, ehrgeizige Nation – sind untrennbar mit internationaler Anerkennung verbunden[42][43]. Ohne positive globale Wahrnehmung können die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele nicht erreicht werden.

Balanceakt zwischen Tradition und Moderne

Saudi-Arabien steht vor der komplexen Aufgabe, seine religiöse Legitimität zu bewahren und gleichzeitig internationale Anerkennung als moderne Nation zu gewinnen. Dieser Balanceakt erfordert kontinuierliche Anpassungen der Soft-Power-Strategie.

Die Ernennung zum UN-Frauenrechtskommissions-Vorsitzenden 2025 trotz anhaltender Kritik zeigt, dass internationale Institutionen Saudi-Arabiens wachsenden Einfluss anerkennen, auch wenn Widersprüche bestehen bleiben.

Fazit

Internationaler Prestigegewinn ist für Saudi-Arabien nicht nur wichtig, sondern existenziell für den Erfolg der Vision 2030. Das Königreich hat Soft Power als strategisches Kernwerkzeug erkannt und systematisch in alle Bereiche investiert – von Sport und Kultur über Diplomatie bis hin zu Megaprojekten.

Die messbaren Erfolge in internationalen Rankings belegen die Wirksamkeit der Strategie, auch wenn strukturelle Widersprüche die Glaubwürdigkeit belasten. Für die saudi-arabische Gesellschaft bedeutet internationales Ansehen wirtschaftliche Chancen und kulturelle Öffnung, während gleichzeitig traditionelle Werte herausgefordert werden.

Saudi-Arabien demonstriert, wie autoritäre Staaten Soft Power systematisch einsetzen können, um internationale Wahrnehmung zu transformieren und geopolitischen Einfluss zu maximieren. Diese Strategie wird zentral für die Zukunft des Königreichs bleiben, unabhängig von den Kosten und Kontroversen, die sie mit sich bringt.


Ergänzende Einschätzung aus Gradido-Perspektive

Die Analyse unterstreicht, wie zentral das Streben nach internationaler Anerkennung und Soft Power für das heutige Saudi-Arabien ist – und wie strategisch, dynamisch und facettenreich diese Kraft eingesetzt wird.

Soft Power als Lebensader der Transformation

  • Absolute strategische Priorität:
     Internationales Ansehen – sei es durch Erfolg in Rankings, Großevents, Megaprojekte oder Medienpräsenz – ist der Motor hinter der gesamten Vision 2030. Ohne weltweite Anerkennung erscheinen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel nicht denkbar.


Hauptinstrumente der Soft Power

  • Von Wahhabismus zu modernem Nationalismus:
     Saudi-Arabien verlässt sich nicht mehr ausschließlich auf seine Rolle als Hüter heiliger Stätten, sondern gestaltet aktiv ein modernes, attraktives (aber weiterhin autoritär geführtes) Image.

  • Vision 2030 als globaler Leuchtturm:
     Die Reformagenda wird zur internationalen Erzählung gemacht – mit enormer Medienwirkung und gezielter Platzierung in globalen Foren.

  • Neue Sektoren als Image-Treiber:
     Unterhaltung, Sport (vor allem die Fußball-WM 2034!), internationale Kulturformate und Megaprojekte wie NEOM prägen das positive Außenselbstbild.

  • Kulturelle und wissenschaftliche Initiativen:
     Museen, Kunstausstellungen, Innovationen und gezielte Kulturaustauschprogramme verstärken die Brückenfunktion des Landes.

  • Hajj als ewiger Soft-Power-Faktor:
     Die Pilgerfahrt bleibt einzigartig in Reichweite und spiritueller Wirkung – ein globales Symbol für Frieden, Dialog und Respekt.


Gesellschaftliche und internationale Wahrnehmung

  • Junge Generation als Träger des neuen Selbstbilds:
     Besonders die Jungen sehen in internationaler Anerkennung auch ihre eigene Chance auf wirtschaftliche Entwicklung und offene Gesellschaft.

  • Spannungen bleiben:
     Die Balance zwischen Tradition und Moderne, zwischen nationaler Identität und globaler Vorbildfunktion erzeugt innergesellschaftliche Spannungsfelder.

  • Kritikpunkte:
     „Greenwashing“, „Sportswashing“ und strukturelle Widersprüche (Menschenrechte vs. Modernisierungsnarrativ) schränken internationale Glaubwürdigkeit. Dennoch bleibt der Soft-Power-Ansatz eindrucksvoll wirksam – auch in westlichen Institutionen.


Gradido-Potenzial

  • Impuls für echte Authentizität:
     Mit Gradido ließe sich die internationale Strahlkraft um eine zutiefst glaubwürdige Komponente erweitern: Wohlstand und Frieden für alle, gelebte Nachhaltigkeit und soziale Integration.
     Das kann Soft Power jenseits von Image und Eventcharakter werden lassen – ein Leuchtfeuer für moralische und ökologische Werte. Jetzt

  • Dialog auf Augenhöhe:
     Gradido kann internationale Partnerschaften stärken und Raum schaffen für Erfahrungen, Austausch und gemeinsames Lernen – Werte, die in der jungen Generation besonders gefragt sind.

  • Brücke zwischen lokalen Traditionen und globaler Offenheit:
     Ein auf Gemeinwohl und Nachhaltigkeit basierendes Wirtschaftsprinzip entspricht sowohl der gesellschaftlichen Sehnsucht nach Anerkennung als auch dem Wunsch nach einer besseren, friedvolleren Welt.


Fazit:
Saudi-Arabien sucht aktiv seine Rolle als globaler Player – mit allen Widersprüchen, aber auch mit viel Tatkraft und Offenheit. Gradido kann genau dort ansetzen, wo echtes Zukunftspotenzial entsteht: Am Schnittpunkt von Modernität, Humanität und internationaler Verbundenheit.

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